Dienstag, 1. April 2008

Südafrika – Das Land der Armut

Es ist schwer, heute Worte zu finden. Wir haben gestern eines der schönsten Konzerte der Domspatzen erlebt. Bei der Generalprobe in Vryheid hatten die Buben und Männer den Sonnengesang bewegend gesungen, bei der Uraufführung in der bis auf den letzten Platz besetzten Abteikirche Inkamana haben sie ihn gelebt. Ein glücklicher Domkapellmeister Roland Büchner sagte nach dem Konzert: „Dieser Abend war ein Höhepunkt in der Geschichte der Domspatzen.“ Chor und Zuhörer gingen mit dem Gefühl aus dem Gotteshaus, etwas ganz Besonderes geteilt zu haben.

Mit diesen Eindrücken fahren wir heute nach Nkandla, hinein ins Herz des Zululandes. Der Benediktinerbischof Aurelian Bilgeri, ein ehemaliger Zögling der Mallersdorfer Schwestern im Memminger Waisenhaus, hatte im Mutterhaus darum gebeten, dass „seine“ Schwestern in seinem Missionsgebiet in Südafrika eingesetzt werden. Zwei der vier ersten Missionarinnen waren Krankenschwestern. Sie übernahmen in dem Dorf Nkandla eine Missionsstation mit kleiner Klinik. Das war 1958. Und so feiern wir heute in der Dorfkirche „50 years of serving the community of Nkandla in pastoral care, health work und psyhosocial outreach“. Bürgermeister, Diözesanverwalter, Vertreter des Gesundheitsministeriums – sie alle gaben den Nardini-Sisters die Ehre, um ihre Achtung und ihren Dank auszudrücken. Die Jubiläumsandacht bietet auch gleich noch eine Premiere: Die afrikanischen Schwestern aus Vryheid haben mit den Männerstimmen die Busfahrt zu einer spontanen Chorprobe genutzt und singen nun gemeinsam mit den Domspatzen das Halleluja.

Ein musikalisches Willkommen gibt es von den „Sizanani children“, einem Chor von Waisenkindern. Sie haben im Sizani-Center, einem von den Schwestern errichteten Zentrum, ein Zuhause gefunden. Der Auftritt vor großem Publikum verbindet die Kleinen. Doch stehen dort vor dem Altar singend Mädchen und Buben mit ihrem jeweils ganz eigenen schweren Schicksal. Während bei wenigen beim Applaus ein Lächeln über das Gesicht huscht, verrät bei den meisten der Blick, dass ihre Augen mehr gesehen haben, als ein Kind je erleben sollte. Sie haben zum Teil ihre Eltern verloren, meist durch Aids, einige sind selbst infiziert. Die anderen sind Sozialwaisen. Ihre Eltern haben sie im Stich gelassen.

Die Ärmsten der Armen: Für sie sind die Nardini-Sisters in Nkandla da. Schwester M. Ellen Dr. Lindner, 1955 in Floß geboren, hat 2005 die Leitung des Krankenhauses aufgegeben. Als sie selbst erkrankte und mehrere Monate nicht in der Klinik sein konnte, wurden im Krankenhaus Abtreibungen als Klinikleistung eingeführt. Da es sich um ein staatliches Krankenhaus handelt, müssen alle staatlichen Verordnungen im Hospital durchgeführt werden. Schwester Ellen sah zudem, dass der Einsatz der Schwestern außerhalb der Klinik noch viel mehr gebraucht wird. Die AIDS-Kranken werden oft aus dem Krankenhaus entlassen, wenn man ihnen medizinisch nicht mehr helfen kann. Sie werden nach Hause geschickt, wo oft jede nötige Versorgung fehlt. Die Ärztin hat inzwischen eine Art Sozialstation aufgebaut. 15 Helfer, sogenannte Care Givers, haben die Nardini-Sisters inzwischen ausgebildet. Sie fahren hinaus in die weit verstreuten Krals, um AIDS-Kranken, vor allem aber Kindern zu helfen.

Wir haben in der vergangenen Woche soviel über die Arbeit der Schwestern gehört, Eindrücke in den verschiedenen Konventen in Südafrika gewonnen. Doch was sie tatsächlich leisten, das wird uns heute hautnah deutlich. In kleinen Gruppen fahren die älteren Domspatzen und einige Begleiter am Nachmittag zu den Menschen, die für die Nardini-Sisters im Mittelpunkt stehen.

Gemeinsam mit den Care Givers verlassen wir im Geländewagen bald die befestigte Straße. Auf dem Feldweg wirbelt der rote Staub auf. Die Fahrspur ist ausgeschwemmt, tiefe Löcher machen das Passieren schwierig. Immer wieder taucht nach ein paar Kilometern ein Kral mit Rundhütten hinter der nächsten Biegung auf. Wir halten an. Zu unserem Ziel führt kein Feldweg. Durch das hohe Gras suchen wir einen Pfad, setzen vorsichtig Schritt für Schritt auf dem unebenen Gelände. Querfeldein gehen wir über den Hang hinab, unsicher was uns erwartet. Am Rand des weiten Tals steht eine Rundhütte. Ein sechsjähriges Junge in zerrissenem T-Shirt und zu kleinen Hosen und ein sein neunjähriger Bruder in ebenso verschlissenen Hemd und Hose drängen sich an die Lehmwand, schauen uns schüchtern an. Schnell stellt sich heraus, dass die Mutter nicht da ist. Die Mutter, sie ist 42 Jahre alt, an AIDS erkrankt und hat fünf Kinder. Der Vater hat die Familie längst verlassen. Er sucht sein Glück allein in Johannisburg. Die Care Givers fragen nach. Ganz leise erzählen die beiden Kleinen, dass sie heute noch nichts gegessen haben. Sie haben auch nichts zu trinken. Die Sonne brennt heiß auf den Lehmboden, über den die Kinder ein selbstgebasteltes Auto mit Lenkstange ziehen. Ihr einziges Spielzeug haben sie aus Drähten, Pappkartonstücken und anderem Abfall selbst gebastelt. Ihr Zuhause ist ein strohgedeckter Rundbau mit winzigen Fensteröffnungen. Sie sind mit PVC-Folie zugestopft. Für Fenster fehlt das Geld. Kein Lichtstrahl dringt ins Innere. In der Mitte der rund sechs Quadratmeter liegt ein einziges Holzstück auf der kalten Feuerstelle. Auf einem Schränkchen liegt eine Medikamentenschachtel, steht eine Blechschüssel. Daneben steht eine kleine Schachtel OMO, eine Zahnbürste steckt in der Plastikverkleidung des Fensters. An der Wand lehnt ein Stück abgerissener Schaumstoff. Es ist die Schlafunterlage für die Familie.

Benedikt, Uwe, Dominik, Sebastian, Josef, Herr Liebl und ich stehen hilflos vor den Kindern. Inzwischen ist ihr 23-jähriger Bruder gekommen. Er hat eine Ohrenerkrankung und konnte deswegen keinen Schulabschluss machen. Zur Zeit hilft er auf einer Baustelle in Nkandla mit, ohne Lohn, und hofft, dass er dort irgendwann eine feste Anstellung findet. Das wünscht er sich. Er mag den kleinen Garten neben der Rundhütte, den sie mit Hilfe der Nardini-Sisters angelegt haben. Doch für weitere Gemüsepflanzen reicht das Geld auch nicht. Er möchte selbst einmal einen Garten haben. Doch dafür braucht er Arbeit. Gegessen hat auch er heute noch nicht. Als wir das bisschen Obst, das wir im Auto haben, holen und es ihnen zusammen mit einem Müsliriegel geben, verteilt er alles tapfer an seine beiden Geschwister. Wann die Mutter zurückkommt, wissen sie nicht. Sie ist zu Fuß nach Nkandla aufgebrochen, um Essen zu holen. 400 Rand, also knapp 40 Euro, bekommt sie monatlich vom Staat, um vier Kinder – eines wurde gegen ihren Willen bei einer anderen Familie untergebracht – und sich selbst zu ernähren. Sie war vor einigen Wochen zu den Nardini-Sistern in den Konvent gekommen und hat um Hilfe gebeten. Sie haben sie zum AIDS-Test gebracht, haben die medizinische Versorgung übernommen. Die kleinen Kinder erhielten Schuluniformen, damit sie in die Schule gehen können. Was die Care Givers sonst noch für die Familie tun können? Die 34-jährige Thembokuhle Khanylle, die sie betreut, sagt: „Wir bringen ein bisschen Hoffnung.“ Essen und ein bisschen Hoffnung – das ist für die Kinder, die uns verlegen beobachten, uns im Gespräch ihr Lächeln schenken und uns zum Abschied mit beiden Händen unsere Hand drücken, viel.

Ein bisschen Hoffnung brachte auch Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller. Er besuchte mit Schwester Ellen eine Großfamilie im Kral. Die Mutter von acht Kindern ist an AIDS erkrankt, ihr Mann an dieser Krankheit bereits gestorben. Sie hat nach dem Tod ihrer Schwester, die vor kurzem an dem Virus starb, deren beide Kinder aufgenommen. Ihre älteste Tochter, ebenfalls AIDS-krank, ist gerade Mutter geworden. Auch der 14-jährige Sohn ist infiziert. Sie alle leben hier auf engstem Raum zusammen und kämpfen ums Überleben. Und sie leben mit dem Mut zu diesem Leben. Fremd und unsicher stehen sie den Besuchern gegenüber. Doch als der Bischof eines der Kinder auf seine Knie setzt, ist schnell jede Scheu überwunden. Die Mädchen und Buben singen ein Lied, die Lebensfreude siegt. Bischof Gerhard Ludwig betet mit der Familie und schenkt der Mutter einen Rosenkranz. Als der Care Giver ihr sagt, dass der Papst den Rosenkranz gesegnet hat, wollen alle Kinder ihn sehen und anfassen. Die Mutter zeigt ihn stolz her und hält ihn fest in ihren von der Arbeit zerschundenen Händen.

„Love is our life, Love is our destiny, Love is the only thing God commands from us, for the fulfillment of all our duties flows from it.“ Diese Worte des Ordensgründers Paul Josef Nardini standen bei der Jubiläumsandacht im Mittelpunkt. „Die Liebe Gottes drängt uns“, steht als Leitwort auf den Broschen der Mallersdorfer Schwestern. Nur diese drängende Liebe Gottes kann ihnen die Kraft geben, Tag für Tag das Schicksal der Menschen in Nkandla, in Südafrika, anzunehmen und es zu ihrem zu machen – und ein bisschen Hoffnung zu bringen, nicht nur durch Worte, sondern durch ihr Tun, in den ärmlichsten Krals inmitten einer paradiesischen Landschaft.

5 Kommentare:

BvB hat gesagt…

Guten Morgen zusammen,
nach dem Bericht fehlen einem die Worte.
Herzliche Grüße
B.Anders

Anonym hat gesagt…

Respekt, Respekt den Nachtarbeitern. Ich hoffe, dass die Buben zumindest einen Teil dessen mitbekommen, was sie uns täglich schildern. Es ist schön, so zeitnah dabei sein zu dürfen. Vielen Dank dafür!
Brigitte Schütze

P.S. Viele Grüße an die Mädels in Weiden. Schön, dass ihr auch mit so viel Interesse dabei seid.

FuG hat gesagt…

Allein beim Lesen dieses Berichtes überfällt uns eine furchtbare Traurigkeit, bei den Bildern ist es mit der Beherrschung vorbei... Bei diesen Stationen Eurer Reise können wir Euch nur viel "Kraft" wünschen, um diese menschlichen Schicksale zu verarbeiten,
...vergessen werden wir sie nie!Bewundernswert sind die "Schwestern", die dort den Ärmsten unter den Armen helfen!

Alles Gute Euch Reisenden,
liebe Grüsse an unser Söhnchen,
FuG Anetzberger

Penninger hat gesagt…

Schon vor dem Frühstück sind wir im Internet und lesen die informativen Reiseberichte und schauen uns die schönen Bilder an. Vielen Dank für die großartige Arbeit.
Wir wünschen allen Domspatzen zwei spannende Tage im Nationalpark. Viel Spaß bei den Tierbeobachtungen!
Beste Grüße an die Domspatzen-Männer Johannes, Dominik, Josef, Chris und Christopher. Und auch schöne Grüße an Frau Dr. Maria Baumann und Herrn Domprobst Dr. Willi Gegenfurtner.
Familie Penninger aus Wiesent

Anonym hat gesagt…

Hallo Ihr Weltenbummler, ich hoffe dass unsere Buam nach solchen ergreifenden Erlebnissen sich auch mal etwas Erholung verdient haben und wünsche Ihnen auf diesem Weg noch tolle Tage in Hluhluwe.

Ein besonderer Gruß geht natürlich an unseren Dominik!!!
Fam.Laßmann-Schoierer